Drewitz


Die Mehrzahl der filmischen Straßennamen in Potsdam befindet sich nicht etwa in der Nähe von Studio Babelsberg, sondern im Stadtteil Drewitz, was mit seiner Geschichte zusammenhängt. Drewitz ist eines der letzten Neubaugebiete, die zu DDR-Zeiten in Planung und (teilweise) Realisation gingen. Es handelt sich dabei um einen „komplexen Wohnungsbau“, eine Bezeichnung, die auf den Begriff „sozialistischer Wohnkomplex“ zurückgeht. Der „komplexe Wohnungsbau“ sollte als Teil des Wohnungsbauprogramms der
DDR ab den 1970er Jahren die Wohnqualität verbessern und die Verfügbarkeit von Wohnraum erhöhen. Industriell hergestellt und in vielen Städten der DDR koordiniert durch den „Hauptauftraggeber komplexer Wohnungsbau“,1 sollten umfänglich ausgestattete und durch Themen geclusterte Wohnkomplexe entstehen. Sie sollten über die notwendige Infrastruktur wie Kindergärten, Schulen, Kaufhallen, Ärzte, Freizeit- und Sporteinrichtungen verfügen und außerdem durch Kunst am Bau und durch Straßenbenennungen eine erkennbare kulturelle Identität bekommen.

In Potsdam wurden für die Neubaugebiete Waldstadt I Schrift-steller*innen und Dichter*innen ausgewählt, Waldstadt II wurde nach Kommunist*innen und Sozialist*innen benannt und Drewitz nach Filmschaffenden aus der Filmgeschichte der Stadt.2 Im März und
Mai 1988 waren im Rat der Stadt Potsdam die entsprechenden Entscheidungen für die filmischen Benennungen gefallen. Zusätzlich zu den Straßennamen war ein „figürliches Wasserspiel“ mit dem Titel Filmkomiker geplant. Vorgesehen waren zudem ein Gaststätten-komplex namens Blauer Engel, ein Jugendklub Kuhle Wampe, eine Vorschuleinrichtung Alfons Zitterbacke und ein Feierabendheim Henny Porten.3 Ein Großteil dieses Plans wurde aufgrund des
Endes der DDR nicht realisiert. Die Straßennamen indes haben die Wiedervereinigung überdauert. Auch wird ein Plattenbau-Ensemble, wie ursprünglich vorgesehen, heute immer noch Rolle genannt (in Anlehnung an eine Filmrolle). Ferner sind in Drewitz stellenweise neuere filmische Artefakte zu finden: Das Begegnungszentrum trägt den Namen Oskar und erinnert damit an den Filmpionier Oskar Meßter und die Außenfassade des Cafés im Park wurde mit einer Filmkamera und einem Filmstreifen dekorativ gestaltet.

In der Drewitzer Konrad-Wolf-Allee ist das Café im Park mit einer Filmkamera und einem Filmstreifen bemalt. 

© Dieter Chill

Vor allem aber ist in der Konrad-Wolf-Allee seit einem Jahr ein unübersehbarer Hinweis auf den Namensgeber zu finden: In großen Buchstaben stehen auf der Rolle die Titel und Erscheinungsjahre wichtiger Filme des Regisseurs Konrad Wolf, darunter Ich war neunzehn (1968) oder Solo Sunny (1980). Diese architektonische „Hommage“4 ist im Rahmen eines umfassenden Wandlungs-prozesses des gesamten Ortes realisiert worden: Seit 2009 wird Drewitz zu einer klimafreundlichen Gartenstadt umgebaut, mit dem Ziel, zum ersten emissionsfreien Stadtteil Potsdams zu werden.5 Hierfür ist unter anderem geplant, den kommunalen Wohnungs-bestand bis 2025 CO2-neutral umzugestalten. Die umfassende energetische und die Wohnqualität steigernde Neugestaltung des Ortsteils betraf auch die Rolle, die ab 2015 komplett saniert und mit einem besonderen Drempel versehen wurde.6 Bei einem Drempel handelt es sich um einen Teil des Dachgeschosses, eine Außenwand, die über das Obergeschoss hinaus gebaut wird. Steht man heute vor dem sanierten Plattenbau-Ensemble und schaut nach oben, erblickt man Konrad Wolfs Filmtitel. Die Buchstaben sollen an die beweg-lichen Lettern erinnern, mit denen Kinos früher das wechselnde Programm beworben haben.7 Auch die Fassadenfarben Weiß, Grau und Schwarz sind ein Verweis auf Konrad Wolf, sie sollen „sein Leben mit Höhen und Tiefen spiegeln“8.

1 Vgl. Frank Betker: „Einsicht in die Notwendigkeit“. Kommunale Stadtplanung in der DDR und nach der Wende (1945–1994), Stuttgart 2005, 129, 193–195, 146 und 194.

2 Vgl. Klaus Arlt: Die Straßennamen der Stadt Potsdam. Geschichte und Bedeutung, Potsdam 2010, 13.

3 Vgl. Archivnummer und Signatur: A1./1486 (39/88), Bestand: Rat der Stadt Potsdam 1945 bis 1990, Teilbestand: A1.- Ratssitzungen, Provenienz: Rat der Stadt Potsdam, Büro des Rates, Titel: Protokoll
der Sitzung des Rates der Stadt Potsdam am 23.3.1988, Zeitlicher Umfang: 23. März 1988. Archivnummer und Signatur: A1.1490, Bestand: Rat der Stadt Potsdam 1945 bis 1990, Teilbestand: A1.- Ratssitzungen, Provenienz: Rat der Stadt Potsdam, Büro des Rates; Titel: Protokoll der Sitzung des Rates der Stadt Potsdam am 18.5.1988, Zeitlicher Umfang: 18. Mai 1988.

4 Ingo Seligmann: Adieu, Tristesse!, in: alsecco aface, Jg. 13, Nr. 2, 2019, 8–14,
hier 13.

5 Vgl. anonym: Gartenstadt Drewitz, in: potsdam.de, https://www.potsdam.de/gartenstadt-drewitz.

6 Vgl. Seligmann: Adieu, Tristesse!, 13–14.

7 Vgl. Robert Lassenius: KONRAD-WOLF-ALLEE, Potsdam, in: lassenius.de,
http://cargocollective.com/lasseniusde/KONRAD-WOLF-ALLEE-Potsdam.

8 Seligmann: Adieu, Tristesse!, 14.

Fassadenausschnitt der Rolle, 2013 vom Architekten Robert Lassenius gezeichnet. 

© Robert Lassenius

Die Rolle mit ihrem filmischen Drempel – eine architektonische Hommage an Konrad Wolf. 

© Hanno Keppel

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