Wie entstehen Straßennamen?


Orte zu benennen, um sich in der Welt besser orientieren zu können, ist eine kulturelle Praxis, die bis in die Anfänge der Menschheitsgeschichte zurückreicht. Auch die Benennung von Orten nach mythischen oder realen Persönlichkeiten, die in Erinnerung gebracht, heraufbeschworen oder gewürdigt werden sollen, war bereits in der Antike verbreitet.


Die Benennungen wurden über die Jahrhunderte vielfältiger. Städte des Mittelalters beispielsweise bezeichneten Straßen nicht mehr nur nach religiösen Schutzpatronen, Kirchen oder geografischen Begebenheiten, sondern auch nach der ansässigen Handwerkszunft oder einer Bevölkerungsgruppe.


Im 17. Jahrhundert begann die allmähliche Veramtlichung dieser kulturellen Praxis: In Paris wurden 1605 die ersten zentralisierten administrativen Regularien zur Benennung von wichtigen Straßen erlassen. Die französische Hauptstadt war auch eine der ersten Städte, in denen systematisch Straßennamen an Häuserwänden angebracht wurden. Andere Städte folgten zunächst mit der Benennung von Straßenkreuzungen und wichtigen Verkehrsachsen sowie der Nummerierung von Häusern.


Im 18. Jahrhundert setzte sich die Vergabe von Straßennamen und Hausnummern als gesetzlicher und durch Satzungen geregelter Verwaltungsakt durch. Die Veramtlichung der Straßenlandschaft ermöglichte vor dem Hintergrund einer zunehmenden Komplexität des urbanen Lebens, regelmäßig Steuern einzutreiben, soziale Strukturen zu organisieren, kommunalpolitische Regularien zu erlassen, den Postverkehr zu organisieren, eine medizinische Versorgung zu etablieren oder polizeiliche Maßnahmen zu vollziehen.1


In Potsdam wurden die Straßennamen zwischen 1806 und 1808 zum ersten Mal amtlich benannt. Die Zuständigkeit für die Benennung wechselte im Lauf der Zeit. So oblag ab 1813 die Genehmigung von Straßennamen in der Residenzstadt Potsdam dem König. Über verschiedene Institutionen konnten Vorschläge unterbreitet werden. 1850 wurde die Genehmigung der preußischen Polizei übertragen. Dieses Verfahren wurde nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Abdankung der Monarchie 1918 beibehalten und – auf Grundlage von Vorschlägen durch die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung – durch den Polizeipräsidenten ausgeführt. 1939 ging die Verantwortung für die Straßenbenennung auf die Bürgermeister*innen und die entsprechenden Ausschüsse und Gremien über und wird bis heute von ihnen getragen.2



Straßenbenennung in Potsdam am Beispiel des Hedy-Lamarr-Platzes


Am Beispiel des geplanten Hedy-Lamarr-Platzes kann dargestellt werden, in welcher Weise in Potsdam gegenwärtig über Straßenbenennungen entschieden wird: Grundsätzlich können alle Bürger*innen der Stadt, aber auch Entwicklungsträger*innen, Investor*innen und alle in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Fraktionen der politischen Parteien die Benennung einer Straße beantragen.


Der Vorschlag, einen bisher namenlosen Platz in Babelsberg nach Hedy Lamarr (1914–2000) zu benennen, kam Anfang 2019 von der CDU und wurde wie folgt begründet:


„Die Universität Potsdam hat beschlossen, ihre Digitalprofessuren an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät an einem Standort zusammenzuführen. Dazu wurde das Gebäude in der Karl-Marx-Str. 67 in Potsdam-Babelsberg ausgewählt. Auf knapp 1000 qm Fläche werden Labore für Experimente mit digitalen Technologien sowie die Forscherinnen und Forscher der vier Professuren […] untergebracht. Der bisher namenlose Platz gegenüber von der ‚Digitalvilla‘ könnte nach einer Persönlichkeit benannt werden, die die Interdisziplinarität und Vielfältigkeit der Digitalisierung ausdrückt. Daher schlagen wir die Benennung als ‚Hedy-Lamarr-Platz‘ vor. Hedy Lamarr (1914–2000) war eine jüdische Schauspielerin und Erfinderin. Ihr filmischer Weg führte sie über Filme mit Heinz Rühmann bis nach Hollywood.“


Weiter heißt es in der Antragsbegründung: „Ihre Erfindungen, die
sie im Zweiten Weltkrieg im Dienste der US Navy und der Alliierten
zu entwickeln begann, werden als frühe Vorläufer der Bluetooth- und WLAN-Technologie angesehen. Sie wurde im Jahr 2014 in die National Inventors Hall of Fame aufgenommen.“ Und schließlich:

„Der Tag der Erfinder wird ihr zu Ehren in Deutschland, Österreich
und der Schweiz an ihrem Geburtstag am 9. November gefeiert.“1


Der Antrag, der als vollständige Beschlussvorlage, d. h. als Auftrag an den Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) formuliert war, wurde im April 2019 in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht und gelangte von dort zunächst in den dafür zuständigen Ausschuss für Kultur. Hier wurde der Antrag ausführlich diskutiert. Im Ergebnis der Erörterungen hatte der Ausschuss einstimmig beschlossen,
der Stadtverordnetenversammlung die Zustimmung zu der Beschlussvorlage in unveränderter Form zu empfehlen.
Am 6. November 2019 wurde der Antrag hier mit Stimmenmehrheit bei einer Enthaltung endgültig beschlossen. Oberbürgermeister Schubert ist hierdurch offiziell beauftragt, in Babelsberg den Platz an der Einmündung der Virchowstraße in die Karl-Marx-Straße nach der Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr zu benennen.



1 Vgl. Reuben Rose-Redwood, Derek Alderman, Maoz Azaryahu: The urban streetscape as political cosmos, in: dies. (Hg.): The Political Life of Urban Streetscapes. Naming, Politics, and Place, London, New York 2018, 1–24, hier 8–9.

2 Vgl. Klaus Arlt: Die Straßennamen der Stadt Potsdam. Geschichte und Bedeutung, Potsdam 2010, 14.

1 Auszug aus der Begründung des Antragstextes mit weiteren Nachweisen, zur Verfügung gestellt durch den CDU-Kreisverbrand Potsdam.

Bild aus einem Facebook-Post des CDU-Politikers Götz Friederich über die positive Abstimmung in der Stadtverordnetenversammlung zur Benennung eines Platzes in Babelsberg nach der Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr. 

© Götz Friederich

Üblicherweise liegen Stadtverwaltungen mehr Namensvorschläge vor,
als realisiert werden können. Deshalb verfügen viele Städte – so auch Potsdam – über einen „Straßennamen-Pool“. Aktuell gibt es eine Warteliste mit 77 Namen, die vergeben werden sollen, darunter keine mit Filmbezug.

Zum Seitenanfang

Diese Website verwendet Cookies.
Bitte lesen Sie unsere Datenschutzerklärung für Details.

OK