Groß Glienicke 


Groß Glienicke wurde nach 1945 zu einem zweigeteilten Ort. In der DDR gab es fortan ein Groß Glienicke ohne Bindestrich, in West-Berlin ein Groß-Glienicke mit. Am 13. August 1961 wurde diese „Nahtstelle“1 zwischen Ost und West durch militärische Sicherung strikt getrennt. Zwischen dem östlichen Groß Glienicke und dem westlichen Groß-Glienicke lag der Groß Glienicker See und der Gutspark Groß Glienicke. Beide durchzog ab 1962 die Mauer. Seit 2003 ist der ehemalige Ostteil von Groß Glienicke in Potsdam eingemeindet. Der ehemalige Westteil gehört zum Berliner Stadtbezirk Spandau.

Die Verbindungen zum Film sind für beide Teile vielfältig: Filmschaffende der Ufa und der DEFA wohnten dort dauerhaft oder hatten dort Sommerhäuser und Datschas. Zu den Groß Glienicker*innen gehörten z. B. die Schauspieler*innen Olga Tschechowa, Carl Raddatz und Maly Delschaft, der Drehbuchautor und Regisseur Egon Günther, der Kameramann und Regisseur Ernst Laude, der Drehbuchautor, Dramaturg und Regisseur Dieter Scharfenberg und Helga Schütz.2 Die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Helga Schütz ist die erste weibliche Ehrenbürgerin von Potsdam. Sie lebte von 1962 bis 1980 in Groß Glienicke und erinnert sich:


„Auf der Seepromenade mit Blick auf die Mauer habe ich Filme von der ersten Idee bis zum Drehbuch für die Regisseure Lothar Warneke, Roland Gräf und Egon Günther geschrieben. Egon lotste manchmal Gäste zu uns ins Grenzgebiet: die Schauspielerin, Autorin und Malerin Lilli Palmer, den Drehbuchautor und Journalisten Wolfgang Menge oder die Schauspielerin Jutta Hoffmann. Einmal hatte ich vor einem Gastmahl viele Pilze gesammelt. Lilli Palmer hat später sehr von den Dreharbeiten mit Egon, aber auch von meinem Pilzgericht geschwärmt.“3


Eine weitere Verbindung Groß Glienickes zum Film besteht darin, dass der Ort immer wieder als Außenkulisse für Filme fungierte. So wurden etwa Teile von Kolberg (1945) nördlich des Gutsparks gedreht. Häuser der Stadt Kolberg, des zentralen Handlungsorts, wurden hier aufgebaut und vor der Kamera in Flammen gesetzt.4 Der NS-Propagandafilm wurde mit größtem Aufwand produziert5 und sollte als Durchhaltefilm zum Kampf auf Leben und Tod mobilisieren, „das unerschütterliche Band zwischen der Front und der Heimat bestätigen“6 und nach dem Konzept des Regisseurs Veit Harlan der Opferbereitschaft der Deutschen ein Denkmal setzten.7 Doch seine propagandistische Wirkung konnte der im Januar 1945 veröffentlichte Film mit seinen Massenszenen und Schlachten nicht mehr entfalten.8 Die Realität kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs ließ den blinden Glauben an ein „Kriegswunder“ nicht mehr zu, die Infrastruktur zur Verteilung der Filmkopien war erheblich eingeschränkt und die Kinos zunehmend zerstört.9


1960 wurden auf der westlichen Seite, also in Groß-Glienicke (mit Bindestrich), Szenen für Der Rächer unter der Regie von Karl Anton gedreht, einen der drei Teile der Edgar-Wallace-Krimireihe. Detektiv Michael Brixan ist darin einem „Kopfjäger“ auf der Spur. Seine Ermittlungen führen ihn in die Nähe des südenglischen Winchester zum Schloss Longvale, wo gerade Dreharbeiten stattfinden – eine Film-im-Film-Szene also. Das Spandauer Tor und das Nachbar-gebäude wurden als Schloss Longvale inszeniert,10 und der davor liegende Ritterfelddamm wurde zur „Dower Street“ umgewandelt,
wie im Screenshot zu sehen ist.

Für die Edgar-Wallace-Verfilmung Der Rächer (Regie:
Karl Anton) aus dem Jahr 1960 wurde der Ritterfelddamm
zur fiktiven „Dower Street“ in Winchester. 

© Dieter Chill (links), Fernsehjuwelen GmbH (rechts)11

Egon Günther nutzte für seine letzte Regiearbeit in der DDR, die deutsch-schweizerische Literaturverfilmung Ursula (1978, Drehbuch: Helga Schütz), die Waldlandschaft am sogenannten Groß Glienicker Bullenwinkel. Hier inszenierte er eine berühmte Szene der Kappeler Schlacht von 1529, in der sich die verfeindeten Zürcher Truppen und die der Innerschweizer Kantone am Lagerfeuer beim gemeinsamen Zubereiten und Essen einer Milchsuppe verbrüdern (in die Schweizer Geschichte ist dieses Ereignis als „Kappeler Milchsuppe“ eingegangen). Auch das Ende des Kriegs und das Hinschlachten des Reformators Zwingli wurden hier gedreht. Helga Schütz: „Tote liegen herum, eine Einwohnerin von Groß Glienicke, Frau Kerst, die jeder damals kannte und die als Laiendarstellerin mitspielte, sitzt in der Szene an einem Baum inmitten des Schlachtfeldes, sie spricht einen langen Text, fast ein Gebet.“12


Um die Filmgeschichte von Groß Glienicke sichtbar zu machen, wurden dort – erst vor wenigen Jahren – fünf Straßen nach Filmschaffenden benannt, deren Wirken mit dem Ort verbunden ist (siehe Karte oben).


Alle Straßen liegen in einer Waldsiedlung, die bis 1990 als Grenzkaserne diente. Hier ist in den letzten Jahren eine Wohnsiedlung entstanden. Um die Beziehung dieser neuen Siedlung zu Groß Glienicke zum Ausdruck zu bringen, hatte der Ortsbeirat das filmische Straßennamen-Konzept beschlossen. Der Ortsvorsteher Winfried Sträter: „Da südlich des alten Dorfkerns in Groß Glienicke seit den 1930er Jahren viele Kultur- und vor allem Filmschaffende wohnten, tragen nun im südlichen Quartier der Waldsiedlung mehrere Straßen Namen von Filmschaffenden.“13


Ein neu gegründeter Arbeitskreis Filme und ihre Zeit hat 2019 damit begonnen, die Filmgeschichte von Groß Glienicke sichtbar zu machen. Des Weiteren hat der Ortsbeirat das Kino auf der Badewiese initiiert – eine Open-Air-Veranstaltung, die die stellvertretende Ortsvorsteherin Birgit Malik aufgebaut hat.

Das Logo des Arbeitskreises Filme und ihre Zeit. Bürger*innen aus Groß Glienicke organisieren filmbezogene Veranstaltungen und erkunden die Filmgeschichte des Ortes. 

© Holger Fahrland

1 Annelies Laude: Groß Glienicke wird zum Grenzort, in: Ernst Laude, Annelies Laude (Hg.): Groß Glienicke. Geschichte und Geschichten, Groß Glienicke 2005, 87–90, hier 87.

2 Zu den Bewohner*innen von Groß Glienicke siehe Annelies Laude: Etwas über die Einwohner unseres Ortes, in: ebd., 69–71.

3 Helga Schütz in einem Telefonat (5.8.2020) mit und in einer E-Mail (6.8.2020) an Anna Luise Kiss.

4 Vgl. Alexander Vogel, Marcel Piethe:     Filmstadt Potsdam. Drehorte und Geschichten, Berlin 2013, 177–179.

5 Vgl. Liz-Anne Bawden, Wolfram Tichy (Hg.): rororo Filmlexikon. Filmbeispiele, Genres, Länder, Institutionen, Technik, Theorie (Bd. 2, Filme K–S), Reinbek bei Hamburg 1978, 359.

6 Jerzy Toeplitz: Geschichte des Films (Bd. 4, 1939–1945), Berlin 1983, 241.

7 Vgl. ebd., 240.

8 Vgl. Bawden u.a.: rororo Filmlexikon, 359.

9 Joachim Schroth: Geschichte als Legitimationsstrategie oder die Frage nach der Tradition des Durchhaltefilmes. Eine Analyse von drei Historienfilmen aus geschichtskultureller Perspektive, Berlin 2016, 232–233, 250–251.

10 Vgl. Vogel u.a.: Filmstadt Potsdam, 176–177.

11 Screenshot entnommen aus
Der Rächer (1960, Regie: Karl Anton), Fernsehjuwelen GmbH 2019. 

12 Helga Schütz in einem Telefonat (5.8.2020) mit und in einer E-Mail (6.8.2020) an Anna Luise Kiss.

13 Winfried Sträter in einer E-Mail (1.3.2020) an Anna Luise Kiss.

Kino auf der Badewiese in Groß Glienicke. Filmgespräch zur Aufführung von Andreas Dresens Gundermann (2018). Von rechts nach links: Birgit Malik, Conny Gundermann, Grit Lemke und Holger Fahrland. Birgit Malik wird bei der Organisation der Open-Air-Veranstaltung durch Christa Esselborn-Holm und Holger Fahrland unterstützt. Wichtige Partner*innen sind Britta Klinge-Wiener und Arnd Wiener. 

© Gudrun Fahrland

Diese Website verwendet Cookies.
Bitte lesen Sie unsere Datenschutzerklärung für Details.

OK